Medien und Ausbildung im Wandel

Februar 2022

Interview mit Univ. Prof. Dr. Markus Müller, Rektor der MUW

Herr Professor Müller, wie sieht Ihr täglicher Medienkonsum aus – an einem Arbeitstag und am Wochenende?

Unter der Woche verfolge ich die Geschehnisse über diverse Pressespiegel und Mobilnachrichten, gelegentlich überfliege ich auch eine U-Bahnzeitung. Am Wochenende vertiefe ich mich gerne in Printmedien und konsumiere zumindest 2 Tagezeitungen und ein Wochenmagazin.

Haben neue Medien Ihre Gewohnheiten stark beeinflusst bzw. klassische Medien bei Ihnen verdrängt?

Die neuen Medien haben sich eher als Ergänzung und weniger als Verdrängung in meinen Gewohnheiten etabliert. So sind z.B. sind die Mobilnachrichten in mein Spektrum vorgestoßen und dazu bin ich zu einem low intensity Reader weniger sozialer Medien geworden, aber nicht zu einem aktiven Poster.

Wenn Sie Ihre Studienzeit mit dem heutigen Universitätsbetrieb vergleichen, wie hat sich das Medizinstudium verändert?

Im Grunde ist nichts mehr vergleichbar. 1990 hat es noch den alten Fächerkanon gegeben. D.h., man hat alle Fächer wie auf einer Perlenschnur hintereinander studiert. Als Spezifikum kam dazu, dass man in den ersten Semestern sehr stark auf Naturwissenschaften fokussiert war. Die Fächer Chemie, Physik, Biologie standen im Vordergrund. Es gab noch keinen Aufnahmetest, sondern einen freien Zugang zum Medizinstudium. Das hat dazu geführt, dass am Peak in Wien um die 16.000 Medizinstudentinnen und -Studenten aktiv waren. Das waren fast 30-mal so viele, wie an der Havard Medical School. Eine logische Konsequenz davon war eine extrem hohe Drop-out-Rate von bis zu 50 Prozent. Viele haben nicht ernsthaft studiert bzw. das Studium abgebrochen. Der erste Patientenkontakt war in der Regel sehr spät – erst im dritten Studienabschnitt.

Wie kam es zur Einführung der Aufnahmetests?

Österreich ist bekanntlich 1995 der EU beigetreten. Man hat aber seitens der Regierung so getan, als hätte sich nichts verändert. Insbesondere von deutschen Studienanwärtern wurde weiterhin verlangt, dass sie den Numerus clausus in ihrem Heimatland erfüllen. Das war rechtswidrig.

Österreich drohte ein Vertragsverletzungsverfahren. Um dem zu entgehen, musste 2005 quasi über Nacht ein Aufnahmeverfahren kreiert werden. Im ersten Jahr folgte man noch dem „First come, first serve“-Prinzip. 2006 war dann das erste Jahr mit einem Medizinaufnahmetest „EMS“, den man sich von der Schweiz „geliehen“ hat. Gleichzeitig wurde der Studienzugang limitiert auf 660 Studienplätze an unserer Universität. Das ging alles Schlag auf Schlag, letztlich auf Basis von EU-Gesetzen.

Wie hat sich die Ausbildung selbst verändert?

Man ging ab vom „Alles-nacheinander-Lernen“, hin zur Integration. D.h., man hat etwa das Herz-Kreislauf-System nicht mehr fünf Mal hintereinander in den unterschiedlichen Fächern durchgenommen, sondern ist im neuen Studienplan dazu übergegangen, Organe aus vielen verschiedenen Blickwinkeln, fächerübergreifend, zu betrachten. Patientenkontakte waren vom ersten Studientag an vorgesehen. Anwesenheitspflicht und praktischer Kleingruppenunterricht wurden eingeführt. Das war eine große Umstellung, denn im alten Studium waren viele Studenten nur selten an der Universität. Es gab sehr gute Lehrbücher, man hat sich viel zu Hause selbst beigebracht, war bis zu einem gewissen Grad Einzelkämpfer. Plötzlich ist die Anwesenheit relativ streng überprüft worden. Das hat auch zum Vorwurf geführt, verschult zu sein, weniger flexibel als früher. Heute sind alle entscheidungsrelevanten Prüfungen schriftlich und damit objektiver. Ich denke schon, dass sich der Erfolg des neuen Studiums auch daran messen lässt, dass mittlerweile über 90 Prozent aller Studienanfänger ihre Ausbildung abschließen. Außerdem Unsere sind unsere Absolventen heute bestens auf den praktischen Klinikbetrieb vorbereitet!

Fake News verbreiten sich besonders schnell über digitale Kanäle. Im Extremfall stehen sich verantwortungslose Demagogen und verunsicherte und empfängliche Menschen gegenüber. Eine toxische Konstellation, wenn es um die Gesundheit geht?

Jedenfalls. Die Mischung aus mangelnder Bildung, fragmentierter Information, post-trust und post-truth Phänomenen im postfaktischen Zeitalter führt zu diesen bedenklichen Entwicklungen.

Dr. Google weiß alles – wie beurteilen Sie den Informationsdurst der Patienten einerseits und das u.U. mangelnde Einschätzungsvermögen andererseits?

Der aufgeklärte, mündige und selbstbestimmte Patient ist eine wesentliche Errungenschaft der letzten Jahrzehnte im Rahmen der Patient-Arzt Beziehung. Die Grenzen der persönlichen Einschätzungsfähigkeit sollte aber gerade ein mündiger Patient kennen, was aber in der Realität doch nicht immer zutrifft.

Das Interview führte Mag. Wolfgang Chlud, Fotocredit: MedUni Wien, Felicitas Matern

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