MEDIALOG im Dialog mit …

August 2023

Ingo Raimon
Pharmig-Präsident

Mag. Ingo Raimon ist seit mehr als 30 Jahren in der Pharma-Branche tätig und leitet seit 10 Jahren AbbVie  in Österreich. Davor war er General Manager von Abbott. Von 2013 bis 2016 sowie von 2017 bis 2020 war Raimon Präsident des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie (FOPI). Am 26. Mai 2023 übernahm er die Funktion des Präsidenten des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs (PHARMIG). Im Dialog mit MEDIALOG spricht der erfahrene Pharma-Manager unter anderem über den Spagat zwischen seiner Rolle als Geschäftsführer eines Unternehmens auf der einen und der Funktion als Präsident der Interessenvertretung einer gesamten Branche auf der anderen Seite. Außerdem gibt er Einblicke in die politische und wirtschaftliche Agenda der PHARMIG, erläutert branchenspezifische Herausforderungen und spricht über Fehltritte, die er nicht bereut.

Sie waren Präsident des FOPI, nun sind Sie Präsident der PHARMIG. Wie fühlt es sich an, der oberste Lobbyist der Pharma-Branche zu sein?

Mit dem Wort »Lobbyist« kann ich schlimmstenfalls leben, das Wort »Interessenvertreter« ist mir deutlich lieber, da es eben um die Vertretung von Interessen geht. Wie fühlt sich das nun an? Es ist ein Gefühl der Verantwortung, da die PHARMIG ein breiter Verband mit einer großen Zahl an Mitgliedern ist, die wiederum viele Beschäftigte haben. Das steht auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stehen das Interesse und die Freude, weiterhin an Themen des österreichischen Gesundheitswesens zu arbeiten. Es geht aber auch um die Vertretung der Interessen von Patientinnen und Patienten. Warum erwähne ich das extra? Weil es um den Zugang und die Verfügbarkeit von Arzneimitteln geht – heute und in der Zukunft! Das ist keine Selbstverständlichkeit. Es geht um den Zugang zu etablierten Arzneimitteln und zu innovativen neuen Therapien, die notwendig sind. Beides wird benötigt, da die Behandlungen oftmals mit einem etablierten Medikament begonnen wurden und im Zuge eines Stufenbaus kann es dazu kommen, wenn es notwendig ist, dass die neuesten Substanzen benötigt und verabreicht werden müssen. Aktuell ist die Versorgung nicht in vollem Ausmaß im Interesse der Patientinnen und Patienten gegeben. Das gehört aktiv angesprochen! Wir sehen, dass jeden Monat um die 20 Arzneimittel aus dem Erstattungskodex ausscheiden. Zusätzlich gibt es jedes Monat Medikamente, die gar nicht erst aufgenommen werden. Alleine das sind zwei große Themenblöcke, die besprochen werden müssen. Es war schon mal selbstverständlicher, dass mehr Zugang zu Medikamenten vorhanden war. Das ist eine große Herausforderung für die Zukunft, der ich mich gerne annehme und der wir uns als Industrie gerne stellen.

„Wir befinden uns bei vielen Präparaten am Ende der Fahnenstange Europas!“

Als Interessenvertreter blickt man meist über die eigenen Ländergrenzen hinweg, um sich nach internationalen Benchmarks umzusehen. Was kann sich Österreich von anderen Ländern abschauen und wo befindet sich Österreich bereits in einer Vorreiterrolle?

Arzneimittel sind in Österreich billiger als viele glauben. Und genau darin liegt die Herausforderung. Wir müssen aufpassen, dass wir innerhalb Europas nicht den Anschluss an andere Länder verpassen. Gerade bei innovativen Arzneimitteln haben wir durch aggressive Preiskaskaden in kürzester Zeit in manchen Therapiegebieten mit nur drei oder vier Anbietern die Situation, dass wir auf ein Preisniveau wie bei der Anwendung der Generika-Regel kommen. Wir befinden uns bei vielen Präparaten am Ende der Fahnenstange Europas! Und wenn wir auf die etablierten Präparate blicken, brauchen wir auch nicht darüber diskutieren, dass es gewisse Herausforderungen gibt, um die Versorgung zu erfüllen. Die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die pharmazeutische Industrie bewegen muss, werden durch den Gesetzgeber und durch die Verwaltung sowie Administration, also die Ministerien und Sozialversicherungen, determiniert. Pharma ist ein mehr als nur sehr regulierter Bereich. Wenn man sich jetzt von uns erwartet, dass wir die Versorgungsthematik in diesem eng gesteckten Bereich alleine lösen, greift das zu kurz. Die Verantwortung liegt schon bei denen, die die Spielregeln determiniert haben. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich sehe dadurch mehr Herausforderungen in Österreich als Dinge, die sehr gut funktionieren.

„Es wird zu Reduktionen im Arzneimittelschatz kommen.“

Das heißt, Sie würden die Regulatorien, die Ihrer Meinung nach zu eng gesteckt sind, gerne aufweichen.

»Aufweichen« würde ich nicht sagen. Ich sage, dass es in der Verantwortung der genannten Entscheidungsträger liegt. Die determinieren das Spielfeld. Die Situation, die wir vergangenes Jahr hatten, immer noch haben und weiter erleben werden, hat mit Maßnahmen zu tun, die von der Politik und Institutionen gefordert werden. Besser macht es das nicht. Aus diesem Kontext können wir keine Änderung bestimmen, sondern nur Empfehlungen abgeben. Bei der Prüfung von Maßnahmen, die getroffen werden, sollte darauf geachtet werden, ob diese stabilisierend oder destabilisierend auf die Versorgungssicherheit wirken. Es werden einige Herausforderungen auf uns zukommen, wenn ich mir anschaue, welche Ideen es zur Umsetzung des Preisbandes gibt. Es wird zu Reduktionen im Arzneimittelschatz kommen. Wenn es dann heißt, dass es um Wirkstoffverschreibung oder die Austauschbarkeit von Präparaten in Apotheken geht, muss ich sagen: An die Patientinnen und Patienten denkt da niemand.

Bei Ihrem Antritt meinten Sie, dass Sie sich für den Forschungs- und Entwicklungsstandort Österreich einsetzen werden. Wie viel Einfluss können Sie tatsächlich nehmen? Welche Hebel stehen zur Verfügung? Einerseits werden Entscheidungen internationaler Konzerne meist nicht in Österreich getroffen und andererseits spielen geopolitische und internationale wirtschaftliche Entwicklungen, wie beispielsweise Inflation, Sanktionen oder die EU-Legislative, eine massive Rolle. Es handelt sich um Kräfte, die noch schwerer zu beeinflussen sind als rein österreichische Aktivitäten, die Sie gerade kritisiert haben.

Kritisiert … wir haben klare Empfehlungen! Ob diese von den Verantwortlichen akzeptiert werden, ist natürlich wieder etwas anderes. Wenn Sie von der Möglichkeit der Beeinflussung im Sinne des Standorts sprechen, glaube ich schon, dass eine Interessenvertretung essentiell für die Versorgungssicherheit für die österreichischen Patientinnen und Patienten ist. Weil: Wir senden Signale von Österreich hinaus an die internationale Community, wo eben Allokationsentscheidungen getroffen werden. Dort wird dann entschieden, wo investiert wird und wo nicht. Ob bei uns investiert wird oder nicht, ist also schon hausgemacht im Zuge von positiven oder negativen lokalen Entscheidungen. In den letzten zehn Jahren haben Pharma-Konzerne ungefähr 4 Milliarden Euro in ihre österreichischen Einrichtungen investiert – das ist massiv! Es geht also darum, Vertrauen in den Firmenzentralen für ein Land wie unseres zu schaffen, damit wir besser wegkommen als andere.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wo steht Österreich bezogen auf die Standort-Attraktivität?
So kann ich das nicht beantworten, da ich die Systeme in den anderen Ländern besser kennen müsste. Es geht aber immer darum: Was kreiert Vertrauen und was zerstört Vertrauen in einen Standort? Im Endeffekt wäre es gut, wenn alle Stakeholder gemeinsam an diesem Thema arbeiten könnten. Ehrlicherweise sehe ich hier eine große Herausforderung: Es gibt viele Institutionen und Funktionen, die zwar das Beste für das österreichische Gesundheitssystem und das Beste für ihr Fachgebiet machen wollen, aber …

… immer nur aus ihrem eigenen Blickwinkel heraus.

Exakt! Es fehlt die Gesamtzusammenschau, was gut für Österreich ist. Wenn ich mein eigenes Silo maximiere, ist es nicht gut Österreich. Beispiel: Wenn die Preise maximal nach unten gesenkt werden, ist es nicht gut für die Versorgung oder Investitionen in Österreich. In einem anderen Bereich wird damit ein Kollateralschaden erzeugt.

Wenn Sie unterschiedliche Institutionen und Funktionen ansprechen und dass jeder aus dem eigenen Blickwinkel heraus agiert: Sie sind einerseits General Manager von AbbVie und andererseits Präsident der PHARMIG. Wie sehr müssen Sie die Wünsche des eigenen Unternehmens hintanstellen, um eine Ausgewogenheit der Interessen aller in Österreich tätigen Pharma-Unternehmen zu gewährleisten?

Die Interessen des Unternehmens, für das ich verantwortlich bin, unterscheiden sich nicht von den Interessen anderer pharmazeutischer Unternehmen. Alle haben Interesse daran, dass Patientinnen und Patienten einen raschen und gesicherten Zugang zu Arzneimitteln haben. Wenn man etwas tiefer in die Arbeit der PHARMIG blickt, sieht man, dass sie von der Mitarbeit der Mitgliedsunternehmen und deren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lebt. Diese finden sich in unterschiedlichen Gremien zusammen und arbeiten an relevanten Themen, um die Positionen der PHARMIG zu erarbeiten. Damit haben wir einen balancierten Ausgleich aus vielen Themen.

Was werden Sie anders als Ihr Vorgänger ausbalancieren?

Im Präsidium haben wir immer schon als Team zusammengearbeitet und werden das weiter tun. Ein wirkliches Vorher und Nachher wird es daher nicht geben. Mein persönlicher Schwerpunkt liegt bei der Kraft der Teams, daraus zu lernen und diese zu nützen. Es geht darum, Dinge gemeinsam zu analysieren und zu diskutieren, um die unterschiedlichen strategischen Mosaiksteine so zu verstehen, damit man weiß, wohin die Reise gehen wird. Das sehe ich als Privileg.

Sie sind vorerst bis 2025 als PHARMIG-Präsident bestellt. Wenn Sie in die Zukunft sehen, um von dort aus einen Blick zurückzuwerfen: Welcher Mosaikstein soll der größte oder farbigste sein?

Ich wiederhole mich nun, aber ich meine es todernst: Patientinnen und Patienten müssen Zugang zu einem breiteren Arzneimittelschatz haben. Das ist für Health Care Professionals genauso wichtig. Ob es sich um ein etabliertes oder neues Präparat handelt, ist dabei egal, da beide benötigt werden. Die Bestrebungen, die ich aktuell im System erkenne, gehen in die andere Richtung, nämlich in Richtung Angebotsausdünnung und Reduktionen. Chronisch kranke Menschen brauchen allerdings mehrere therapeutische Alternativen. Auch Ärzte und Ärztinnen müssen mehrere Pfeile im Köcher haben, um erfolgreich behandeln zu können. Das wäre aus meiner Sicht der wichtigste Stein, um dieses Bewusstsein zu schärfen. Das zu schaffen, ist ein mehr als harter Kampf, da das aktuell anscheinend nicht erkannt wird oder die Strategie derzeit eine andere ist, wie mir Mitglieder berichten.

Machen wir es an einer Zahl fest: Wie viel Prozent mehr Arzneimittel sollen 2025 in Österreich verfügbar sein?

So denke ich nicht. Es geht um die therapeutische Vielfalt innerhalb der Indikation und darum, dass neue Medikamente, die einen Zusatznutzen bringen, ebenfalls zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sollen etablierte Medikamente nicht ausgedünnt werden.

Ist es geplant, gemeinsam mit Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen an dieser Front zu arbeiten?

Das beschäftigt mich persönlich sehr, da es mir über die Jahre gezeigt hat, wie man wirklich denken sollte. Man muss sich die Frage stellen, ob alle Institutionen und Stakeholder tatsächlich so aufgestellt sind, das Beste für die Patientinnen und Patienten zu machen, oder ob Eigeninteressen und Silo-Gedanken überwiegen. Was ist für unser System und für unser Land das beste?

Wenn man sich aus diesem Blickwinkel die Gegenseite ansieht, kann man auch so argumentieren, dass eine Vielfalt erst durch geringere Preise entstehen kann für das System.

Das Problem ist nur: Wenn so eine Kaskade zu schnell nach unten geht, folgt in einem therapeutischen Bereich nichts mehr nach. Nicht zuletzt wegen der bei uns billigen Preise sehen wir einen regen Export aus unserem Land. Das müssen wir offenbar noch mehr herausstreichen. Wir sind am Ende der Fahnenstange. Manche neuen Präparate werden damit nicht mehr kommen, auch wenn uns das niemand glaubt. Wir haben schon vor zehn Jahren vor bestimmten Themen gewarnt, die wir heute im etablierten Bereich beobachten können. Das hat uns damals auch niemand geglaubt. Nun ist es so weit, auch wenn es niemand hören wollte. Daher: Schauen wir in die Zukunft, denn diese Entwicklung kann sich auch in einem anderen Bereich wiederholen.

Sie sind Jurist, Geschäftsführer und Präsident. Klingt nach einem unbestrittenen steilen Aufstieg.

Es handelt sich um eine 35-jährige Kletterphase! (lacht)

Meist liest und hört man nur von den Erfolgen. Was ist Ihnen in jeder dieser drei Rollen so überhaupt nicht gelungen?

Um es in den Worten von Édith Piaf zu sagen: Je ne regrette rien!

Das würde heißen, dass immer alles glatt gelaufen ist. In 35 Jahren können Sie sich an nichts erinnern, das Sie bereuen?

Sagen wir so: Auch wenn das eine oder andere nicht nach Plan gelaufen ist, bereue ich den Weg nicht.

Was genau ist denn nicht nach Plan verlaufen?

Damit würde ich nun gegen Vertraulichkeitsbestimmungen von Firmen oder Verbänden verstoßen.

Shortcut … kurze Begriffe, rasche Antworten:

Lobbying … notwendig.

Pharma-Industrie … tolle Branche mit klugen Köpfen und exzellenten Konzepten sowie Technologien.

Interessenvertretung … sehr wichtig für die Patientinnen und Patienten in Österreich.

Politik … immer spannend.

Versorgungssicherheit … etwas, das es herzustellen gilt.

FOPI … ganz wichtig, um Schwerpunkte auf Innovation setzen zu können.

PHARMIG … breite Interessenvertretung, die von der Mitarbeit aller Mitglieder lebt.

Das Interview führte Philipp Schützl.

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